https://www.rfo.de/mediathek/video/willee-regensburger-rote-reiter-preis/
Begründung der Jury:
Der Rote-Reiter-Preis geht an ein Werk, das in der für den ausführenden Künstler charakteristischen Art und Weise Humor und Aufklärung vereint. In einem extra für diese Ausstellung geschaffenen, installativen Werk wird parallel zu gängigen Erkenntnissen westlicher Wissenschaften ein Wissensnarrrrativ behauptet, das aternative Lesarten von Geschichte und Natur glaubhaft erscheinen lässt. Infrage gestellt wird ein Wahrheitsdiscurs, der über Machtinsignien wie Markenlogos anerkannter Institutionen von z.B. Stiftungen und Universitäten geführt wird und für die Wahrnehmung von Wirklichkeit ausschlaggebend ist. In Zeiten von alternativen Fakten und fake news wird eine Arbeit von aktureller gesellschaftlicher Relevanz ausgezeichnet: die „Bibliothek der Kristalle“ von Willee WTH Regensburger.
Biblitohek der Kristalle
Das Werk „Bibliothek der Kristalle“ verbinde ich mit meiner Biographie. In meiner Kindheit durfte ich mich in der Goldschmiedewerkstätte meines Vaters mit Halbedelsteinen wie Tigerauge, Topas oder Jaspis und mit Edelsteinen wie Smaragd, Rubin oder Saphir beschäftigen. Im Winter spielte ich mit Eis und Schnee und bemerkte bald, dass sich an den Fensterinnenseiten das Kondenswasser zu wahren Wundern von Eiskristallen verwandelte. Bei meinem Studium, das eine intensive Beschäftigung mit Geologie und Bodenkunde einschloss, begegnete ich wieder Kristallstrukturen und ihren elementaren Wirkungen. Ich erweiterte in meiner schamanischen Heilarbeit mein Wissen über die Verwendung vor allem von Bergkristallen.
Die für den Roten Reiter Preis ausgewählte Arbeit ist eine Replik auf die bekannte Altarform des Triptychons. Dessen künstlerische Aufgabe besteht darin, im Mittelteil das wichtigsten Motiv zu schildern und in den Seitenteilen eine erweiterte Erzählebene darzustellen. Mein Triptychon ist mit zwei Schauseiten versehen, dessen Rückseite etwas ärmer gestaltet ist, so wie dies auch in der sakralen Präsentation oft der Fall ist. Die drei Teile ruhen auf einem als Predella zu interpretierenden Sockel.
Der Mittelteil besteht aus mehreren geschichteten Gläsern, die mit der Schrift „Schnee, Eis, Kristall“ von beiden Seiten lesbar beschriftet sind. Die halbtransparenten Flächen werden von „Eiskristallen“ gebildet, aus denen die Schrift herausgeschabt ist. Die „Bibliothek der Kristalle“ bezieht sich auf die Kristallbildung des Wassers, bei der sich jedes Eiskristall unterscheidet und damit in seiner Einzigartigkeit und Vielfalt eine unendliche „Bibliothek der Kristalle“ bildet.
Die beiden Seitenteile erscheinen dem Betrachter als Bibliothek. Die vierzig Hüllen der Videokassetten, die Buchumschlägen optisch nahekommen, sind von mir mit Titeln wissenschaftlichen, esoterischen, religiösen und politischen Inhalts bedruckt. Die Verwendung von Universitäts-, Stiftungs-, Verlagssignets unterstützt die Suggestion, dies seien wichtige Wissenschaftsfilme. Die von mir in wissenschaftlichem Tenor, auch in Sprachen wie Norwegisch, Arabisch, Japanisch oder Französisch, entwickelten Titel stützen die vermeintliche Authentizität der Bibliothek ebenso wie die Verwendung dieses veralteten Mediums. Diese scheinbare Echtheit und Authentizität soll der Erzeugung einer vom Betrachter zu bestätigenden Wahrheit dienen. So gibt dieses Narrativ Hinweise darauf, dass wir leicht etwas für echt befinden, wenn Inhalt und Form uns in unseren Vorstellungen bestätigen.
Die Videokassetten sowie die Seitenteile des Triptychons sollen in ihrer Gesamterscheinung auch an einen Bildschirm und seine seitlich angeordneten Mediensammlungen erinnern. Die gesamte „Bibliothek der Kristalle“ ist von innen und außen vereist und beschneit. Es ist ein nicht mehr erreichbarer, in der Erstarrung befindlicher, aus der Vergangenheit stammender Wissensvorrat.
Um den Betrachtenden einen Schlüssel zum Lesen dieses Vexierspiels zwischen Wahrheit und Fake zu geben, zeigt die oberste Hülle des linken Seitenflügels Marylin Monroe mit ihrem Liedtitel „Diamonds are a girl‘s best friend“, die mit dem Signet von De Beers, dem gößten Diamantenhändler der Welt, verbunden ist. Der oberste Kassettenumschlag des rechten Flügels zeigt den Titel und ein Bild aus meiner Serie „Das Geheimnis der Kristallbären“ und ist folglich auch mit Willee WTH Regensburger signiert.
Willee Regensburger